Autoreninterviews
Mit unseren Autoreninterviews stellen wir Ihnen neue und bekannte Autoren des Karl-Mahnke-Verlages vor, um Ihnen die Menschen hinter unseren Stücken ein wenig näher zu bringen.
Interview mit Emilie Leconte
(24.09.2018)
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Was reizt Sie besonders am Schreiben?
Ich sehe mir gerne die Welt und ihren Wahnsinn an. Weil ich darüber lachen möchte, bekomme ich Lust zu schreiben. Im Schreiben suche ich also das Burleske (nicht den Realismus) der Situationen, die in mein Blickfeld geraten. Zum Schreiben gekommen bin ich aber auch über die Lektüre von Stücken des absurden Theaters, die Individuen in Szene setzen, die in einer Welt, deren Ordnung und Sinn sie nicht begreifen, die Orientierung verloren haben.
Sie haben an der Ecole des Beaux-Arts [Hochschule der schönen Künste] in Paris-Cergy und an der philosophischen Fakultät studiert. Findet sich dieses Studium in Ihren Stücken wieder? Haben diese dadurch stets einen philosophischen Aspekt?
Wenn man Philosophie studiert hat, kommt man vielleicht dazu, unsere Welt ständig zu hinterfragen... Ich glaube, dass ein gutes Theaterstück immer zu einer philosophischen Fragestellung führt. Und das Kunststudium hat mir geholfen, eigene Projekte zu schaffen, die eigenen Stücke zu schreiben und mich dabei auch für verschiedene künstlerische Annäherungen zu öffnen (etwas anderes ins Auge zu fassen als den Realismus, zum Beispiel).
Wenn Sie ein Stück schreiben, wie nähern Sie sich einem Thema, einer Geschichte? Gibt es so etwas wie Vorbereitungs-/Kreativrituale?
Wenn ich ein neues Projekt beginne, versuche ich eine gewisse Zeit lang, jeden Morgen etwas dazu zu schreiben, erst danach ergibt sich die Struktur eines Stückes.
Wie kamen Sie auf die Idee zu BETRAND FÄLLT AUS? Ein Mensch, der sich überraschend und ohne besonderen Grund und auf unbestimmte Zeit auf dem Boden in seiner Wohnung liegend wiederfindet und nicht in der Lage ist, aufzustehen. Hat die Geschichte persönlich mit Ihnen zu tun? Kennen Sie einen Bertrand (nicht nur vom Namen her) in Ihrem Umfeld? Was hat Sie an der Figur BERTRAND besonders gereizt? Welche Absicht verfolgten Sie mit der Figur?
Dieser Text entstand aus der Lust, über die besessene Hektik unserer Welt zu lachen. Im Zentrum steht die Frage nach der Identität, der Normalität, nach unserem Verhältnis zum Erfolg und zur sozialen Anerkennung. Bertrand erscheint in seinem gelähmten Zustand als ein Mensch, der sich aus der Welt zurückgezogen hat, um Abstand von den sozialen Zwangsmustern zu gewinnen.
Für mich stellten sich zwei Fragen: Liegt vielleicht im Nichtstun die Zukunft des Menschen? Könnte es zum Mittel werden, das am besten unsere Ablehnung der Welt und des Zwangs ihrer Erwartungen erklärt?
Indem Bertrand unermüdlich sein Konfetti herstellt, verkörpert er eine friedliche Revolte gegenüber der Hektik und des hyperaktiven Handlungszwangs um uns herum. Sein Ausfallen wird nach und nach zum Katalysator, der grausam den zeitgenössischen leeren Anspruchswahn sichtbar macht. Seine Haltung bringt zutage, was quer liegt, die niederen Triebe, die aufgeblasene Blasiertheit und die bösen Absichten, die in jedem stecken.
Die Geschichte beruht nicht auf einem persönlich erlebten Vorfall, wurde allerdings tatsächlich durch einen Freund angeregt, der von Natur aus Charakterzüge Bertrands trägt.
Bertrand erinnert an „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ von Gombrowitz (die durch ihr Schweigen in jedem das aufdeckt, was verschwiegen werden und versteckt und geheim bleiben muss), an „Teorema“ von Pasolini (den Besucher, der zum Objekt der Faszination und der Sehnsucht wird) oder auch an „Bartleby“ von Melville (die Geschichte eines Mannes, der sich verweigert und von den üblichen Verhaltensweisen nicht mehr vereinnahmen lässt).
Mein Schreibstil liegt oft zwischen dem Absurden und Burlesken, denn mein Ausgangspunkt sind Beobachtungen in dieser Welt, aber aus einem versetzten Blickwinkel der Verfremdung heraus.
Dabei wird in manchen Szenen das Absurde der Situation von einem im Wesentlichen durch den Rhythmus getragenen Text unterstrichen. Er ist dann vergleichbar mit einer Musikpartitur, bei der mehrere Stimmen einander überlagern.
Ein besonders einprägsamer wie auch schöner Satz Ihres Stückes ist: Niemand kann sicher sein, dass nicht plötzlich etwas Schönes passiert. – Wenn man in die heutige Welt schaut, möchte man meinen, es sei genau umgekehrt. Wie kamen Sie auf diesen Gedanken?
Vielleicht vertritt das Stück eben einen Gegenstandpunkt zu dem, was man bei einem unbefangenen Blick zunächst glauben könnte: Letztlich wäre dann das Nichtstun die Zukunft des Menschen und wir würden ständig von guten Nachrichten überrascht! Ich stellte mir übrigens vor, dass Bertrand immer ein Säckchen Konfetti mit sich herumtragen könnte mit der Aufschrift „Im Notfall öffnen“...
Wie war die Zusammenarbeit mit Herrn Barth als Übersetzer? Hatten Sie bereits vorher andere Erfahrungen mit ÜbersetzerInnen? Wie haben Sie (im modernen Zeitalter der Kommunikation) zusammengearbeitet? Wie oft haben Sie sich ausgetauscht?
Ich habe das erste Mal mit einem Übersetzer zusammengearbeitet. Der Austausch war sehr angenehm. Herr Barth fühlte sich dem Text sehr gewissenhaft verpflichtet und seine Nachfragen zum Sinn des Stückes waren ausgesprochen schlüssig. Interessant dabei war, dass dies von mir verlangte, präziser über die Wörter und Ausdrücke, die ich verwendet hatte, nachzudenken. Wir haben uns mehrmals per Mail über den Text ausgetauscht und uns einmal in einem Café getroffen. Inzwischen wurde das Stück auch ins Englische übersetzt, aber ich habe den Übersetzer bis jetzt noch nicht getroffen.
Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade schreiben?
Ich führe Schreibseminare für Kinder, die nicht Französisch sprechen, oder für an Alzheimer erkrankte Menschen durch. Ich spiele auch selbst als Schauspielerin in Stücken, meistens in den selbst verfassten.
Schreiben Sie ausschließlich fürs Theater oder auch Literatur? Für welches Genre schreiben Sie lieber?
Ich schreibe auch auf der Grundlage von Berichten (besonders über die Liebe) oder für „Literaturbälle“ (Bälle, bei denen man Texte anhört und tanzt) und nutze sehr unterschiedliche Schreibstile. In der Zukunft möchte ich aber die Theaterfiktion weiterentwickeln.
Wie sieht Ihr Tages- oder Wochenprogramm als Autorin aus?
Ich versuche jeden Tag zu schreiben und arbeite an der Inszenierung und Verbreitung meiner Stücke.
Die Frage, die Schauspielern – zumindest in Deutschland – oft gestellt wird, ist Folgende: „Und was machen Sie hauptberuflich?“ Diese Frage möchte ich Ihnen nicht stellen, aber: Können Sie allein vom Schreiben leben? In Deutschland können lediglich 5% aller AutorInnen (egal ob Literatur, Theater, etc.) davon leben. (Wenn Sie darauf nicht antworten wollen, respektiere ich dies.)
In Frankreich können manche Künstler mit Zeitverträgen beim Theater arbeiten. Dies erlaubt es mir, von meiner Arbeit als Schauspielerin und Regisseurin zu leben. Was ich von den Urheberrechten her einnehme (Buchverkauf, Aufführungen meiner Stücke) würde dafür nicht ausreichen.
Liebe Frau Leconte, vielen Dank für Ihre Zeit und die Einblicke, die Sie in Ihr Leben und Ihre Arbeit gewährt haben.
(Das Interview führte Fabian Joel Walter. Übersetzung ins Deutsche von Wolfgang Barth.)